Die Baureihe 143
Die Entwicklung der Baureihe mit dem Prototyp 212
Die neuen Bo’Bo’-E-Lokomotiven der Deutschen Reichsbahn sollten ursprünglich in zwei Ausführungen gefertigt werden – als Baureihe 212 mit 160 km/h Höchstgeschwindigkeit für den Schnellzugdienst und als Baureihe 243 mit 120 km/h Höchstgeschwindigkeit für den sonstigen Reise- und Güterzugdienst.
Beide Baureihen sollten sich – wie bereits E 11 und E 42 – nur durch eine unterschiedliche Getriebeübersetzung und dem jeweiligen Einsatzzweck angepasste Ausrüstungsteile voneinander unterscheiden. Darüber hinaus forderte die Reichsbahn, bei der Konstruktion der 212/243 dieselben Gesichtspunkte anzuwenden wie bei der 1973 entstanden und 1974 erstmalig gebauten Co’Co’-Lok der Baureihe 250. Dementsprechend wurde das – Fahrzeugteil in Stahl-Leichtbauweise, die Verwendung des LEW-Kegelringfederantriebs, die weitgehende Berücksichtigung der Leistungselektronik bei Anwendung von Hochspannungssteuerung und Thyristorsteller, ergonomisch gestaltete Bedienungpulte und eine zeitgemäße äußere Formgebung berücksichtigt.
Die notwendige Stundenleistung der neuen Lokomotiven wurde auf 3600 kW festgesetzt, die Radsatzfahrmasse auf maximal 21 t. KLEW konnte die Forderungen der Reichsbahn erfüllen und den Prototyp der Ausführung für Vmax=160 km/h sowie zwei Drehgestelle der Variante für Vmax = 120 km/h mit eingebauten Antrieben auf der Lepziger Frühjahrsmesse 1982 vorstellen. Die Lokomotive, deren Lokkasten von KLEW nach einem Entwurf der Hochschule für angewandte Formgestaltung Burg Giebichenstein ausgeführt worden war, ließ deutliche Anklänge an die Baureihe 250 erkennen. Wie die Co’Co’-Lok besaß sie geradlinige äußere Formen und gesickte Seitenbleche. Die Oberteile der Stirnfronten waren aber nach hinten geneigt. Die Lokomotive trug als Messeexponat eine äuffällige Sonderlackierung, die ihr den Spitznamen “Weiße Lady” einbrachte. Die Lokschilder und das Eigentumsmerkmal brachte die DR erst am 27.08.1982 anlässlich der Indienststellung an.
Bei der Serienfertigung der neuen Bo’Bo’-Lok entfielen lediglich die Maschinenraumfenster in der Dachschräge und ab 243 299 die Übergänge zwischen den vorderen Dachpartien und abgerundete Stirnfronten wegen der günstigeren Aerodynamic. Der Prototyp 212 001 besaß ab Werk neu entwickelte Einholm-Stromabnehmer vom Typ VSH 2 F1; die Serienlokomotiven der Baureihe 243 wurden dagegegen mit den leichteren Stromabnehmern der Typen VSH 2 F 2 und (ab Baujahr 1987) VSH 2 F 3 ausgerüstet.
Die “Weiße Lady” war zwar für 160 km/h ausgelegt; ihre zulässige Höchstgeschwindigkeit wurde aber auf 140 km/h begrenzt. Bereits bei Fertigstellung der Lok stand fest, dass die Deutsche Reichsbahn vorerst keine weiteren 140 oder gar 160 km/h schnellen E-Lokomotiven in Dienst stellen und daher nur die Baureihe 243 in Serie gehen würde. Das Schienennetz der Reichsbahn ließ keine schnelleren Geschwindigkeiten bei Lokomotiven zu, was es unnötig machte, schnellere Lokomotiven zu entwickeln.
Erprobung und Betriebseinsatz der 143
Die Lok wurde im Bw Halle P für das Versuchsprogramm vorbereitet. Im Juli 1982 fuhr die Maschine erstmals mit eigener Kraft zwischen Zahna und Halle. Bei den anschließenden Erprobungsfahrten wurden alle neuen Konstruktionselemente, darunter die Elektronik und das Schaltwerk, eingehend geprüft. Geräuschmessungen, Schleuder- und Anfahrversuche gehörten zu den weitere Bestandteilen des Versuchsprogramms. Die messtechnischen Versuche, darunter auch die Laufgüteuntersuchungen, die mechanischen Belastungsmessungen, Schwingungsmessungen, Ermittlung der Fahr- und Bremskennlinien sowie des Leistungsverhaltens, umfassten die insgesamt 16 Schwerpunkte und wurden mit einer gnadenlosen Gründlichkeit durchgeführt, die dem heutigen “Unternehmen Zukunft”, wie sich die Deutsche Bahn AG selbst so gern nennt, völlig fremd ist.
Dank der umfangreichen Versuche mit dem Prototyp konnten die Kinderkrankheiten, die jeder Neukonstruktion anhaften, beseitigt und alle für die Serienfertigung notwendigen Änderungen veranlasst werden. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, darf gesagt werden, dass die Änderungswünsche für die Serienausführung im Vergleich zu anderen Baureihen nur einen geringen Umfang besaßen. Die Betriebserprobung der BR 212 001 erfolgte überwiegend vor D-Zügen und auf den Strecken Erfurt-Halle, Halle-Jüterbog und Halle-Dessau. Die mit dem Messwagen des IfE gekuppelte Maschine wurde dabei zunächst als Vorspannlok vor der planmäßigen Zuglok (in der Regel eine 211) eingesetzt. Bald konnte das Heimat-Bw Halle P jedoch auf die “Angstlok” verzichten, die “Weiße Lady” erwies sich als äußerst zuverlässig und kaum störanfällig. Seit Anfang 1983 beförderte die 212 001 ihre Züge meist allein.
Im September hatte die Lok eine Laufleistung von 90 000 km erbracht und wurde dem Raw Dessau zur Probezerlegung übergeben. Diese Maßnahme diente der Festlegung einer wirtschaftlichen Erhaltungs- und Instandhaltungstechnologie für die neuen Bo’Bo’- Lokomotiven und der Überprüfung der Hauptbaugruppen. Hier achtete man auf den Verschleiß der Einbauteile und äußerlich nicht sichtbare Schäden. Durch eine Änderung der Getriebeübersetzung mittels neuer, von KLEW zugelieferter Ritzel wurde im Raw Dessau gleichzeitig der Umbau der 212 001 zur 243 001 durchgeführt.
Im Anschluß an Probezerlegung und den Umbau wurde die Erprobung der Lok bis zu einer Laufleistung von 400 000 km fortgesetzt. Die nunmehrige 243 001 wurde hauptsächlich auf denselben Strecken und vor den gleichen Zügen getestet wie vor dem Umbau! Planeinsätze im Personenzugdienst wurden ebenfalls durchgeführt. Lediglich eine Episode war der Einsatz der Maschine Ende 1983/ Anfang 1984 auf der Strecke Rangsdorf-Dresden-Bad Schandau. Wie schon als 212 001, stellte die “Weiße Lady” auch nach ihrem Umbau und nach der Umzeichnung in 243 001 ihre Zuverlässigkeit beständig unter Beweis.
Nach Abschluß aller Erprobungen gab die Deutsche Reichsbahn den Prototyp am 17. Oktober 1986 an den Hersteller KLEW zurück. Das Werk nutzte die Lok weiterhin als Erprobungsträger. Nachträglich eingebaute Baugruppen und Ausrüstungsteile, u.a. für Versuche mit der Drehstrom-Antriebstechnik wurden an ihr getestet. 1988 kuppelte man die Lokomotive fest mit einem Messwagen zusammen, der sogar in der gleichen Farbgebung der Lok war. Als die Drehstrom- Versuche beendet wurden “normalisiert” man die 243 001 wieder und trennte sie von ihrem Messwagen.
in den neunziger Jahren galt die Lok, die seit Ende 1991 Eigentum der AEG Schienenfahrzeuge und seit 1992 als 143 001 bezeichnet war, als Versuchslok und wurde immer wieder zu Testfahrten herangezogen. Gelegentliche Einsätzen vor planmäßigen Reisezügen waren keine Seltenheit. Heute gehört die Lok zum Bestand der EKO – Trans.
Einsätze und Bewährung der 143
1984 begann man die Serienlieferung der Baureihe 243, da war es schon absehbar, dass sie nach Berlin fahren würde, vielleicht auch nach Rostock und Stralsund. Einsätze auf der Schwarzwald- oder Höllentalbahn oder im S-Bahnverkehr des Ruhrgebietes oder im Regionalverkehr von Nürnberg und Frankfurt am Main, das schien Utopie! Die Wende in der DDR und die Übernahme der Deutschen Reichsbahn durch die Deutsche Bundesbahn, haben dies erst möglich gemacht.
Die ersten Serienlokomotiven der Baureihe 243 erhielt das Bw Erfurt. Bis 1986 wurden alle ab Werk gelieferten Lokomotiven, vom Bw Leipzig Hbf West eingefahren und an die Bahnbetriebswerke Halle P, Dresden und Erfurt abgegeben. Einige Lokomotiven blieben auch im Bw Leipzig Hbf West. Somit waren die Lokomotiven vornehmlich im Süden der DDR im Einsatz. Die erste Lokomotive der Baureihe 243 erhielt 1985 mit der Nummer 243 069 das Bw Rostok 1986/87 folgten einige mehr. Die ersten Lokomotiven erhielt das Bw Berlin Osb 1987 mit den BR 243 204, 207 und 213. Bis 1986 wurde ausschließlich an die Bw Halle P, Leipzig Hbf West, Dresden, Erfurt, Rostock und Berlin Osb (das man ab 1987 Bw Berlin Hbf nannte) die Baureihe 243 ausgeliefert. Das Bw Neustrelitz, Pasewalk und Stralsund bekam 1987, 14 Maschinen der Baureihe 243, der Gesamtbestand erhöhte sich bis 1989 auf 82 Lokomotiven. Die ersten Lokomotiven erscheinen 1989 bei den Bw Cottbus und Senftenberg erstmals. 1989 erhielt das Bw Wittenberg eine Lok, diese war ein Aufbau der früheren 243 972. Für weitere Dienststellen war die 243 nicht vorgesehen.
Zwischen September und November 1990 mietete die Deutsche Bundesbahn vier Maschinen der Baureihe 243 an. Man zeichnete sie in die Baureihe 143 um und beheimatete sie beim Bw Mannheim. Den Einsatz fand sie aber beim Bw Offenburg. In Plänen der Baureihe 139 fuhren sie auf der Schwarzwaldbahn. Diese Leihlokomotiven waren beim Bw Erfurt beheimatet und wurden auch dort abgerechnet. Nach den erfolgreichen Versuchfahrten mit 243 (143) 928 beim Bw Dortmund, wo sie im Regional- und Güterverkehr eingesetzt wurde, mietete die Deutsche Bahn weitere Lokomotiven an.
Als der Winterfahrplan im Jahr 1992/93 begann, standen schon 150 Lokomotiven in den Diensten der DB. In den Bw Mannheim und Düsseldorf fanden sie regen Einsatz. Bei den S-Bahnzügen im Gebiet Rhein-Ruhr wurden den Maschinen ZWS eingebaut und wurden sogar in S-Bahnfarben lackiert (weißer Lokkasten mit umlaufender oranger Bauchbinde und Zierstrich). Die Lokomotiven der Baureihe 111 konnten jetzt wieder dem Schnellverkehr zugeführt werden, denn die Bauart der Lokomotiven waren für die Traktion von S-Bahnzügen nicht geeignet. Auch Nürnberg findet die 143er im S-Bahnbetrieb den Einsatz. Inzwischen fährt auch Frankfurt (M) den Regionalverkehr mit der Baureihe 143.
Die Görlitzer Doppelstock-Wendezüge kristallisierten sich als ein ideales und komfortables Angebot für den Regionalverkehr und den Berufsverkehr in Ballungsräumen heraus. Nun stieg der Bedarf an entsprechend ausgerüsteten Lokomotiven der Baureihe 143 weiter. Die Baureihe 143 entwickelte sich für die Deutsche Bahn inzwischen für mehr, als nur den Ersatz der hochbetagten Baureihen 139, 140 und 141. Mit einem zunehmenden Dienstalter von ca. 45 Jahren hatten sie ihre Grenznutzungsdauer bereits erreicht. So kam für die DB die Wende recht gelegen. Durch die fast werksneuen und universell einsetzbaren Lokomoten der Baureihe 143, konnte man den hohen Schadlokbestand der drei Baureihen relativ leicht kompensieren.
Mit Gründung der DB AG 1994 musste man sich die Lokomotiven der DR nicht mehr anmieten, jetzt konnte die DB frei über den Bestand verfügen, was man natürlich auch tat. 2001 waren die Lokomotiven in den Betriebshöfen Düsseldorf, Frankfurt (Main) 1, Nürnberg West, Freiburg, Ludwigshafen, Stuttgart und Köln-Deutzerfeld beheimatet. In den neuen Bundesländern hatten nur noch die Betriebshöfe Halle, Leipzig Hbf West, Cottbus und Rostock Lokomotiven der Baureihe 143 zu Buche stehen. Das Wort beheimatet hat heute auch eine andere Bedeutung als früher. Nach der Auflösung der Bahnbetriebswerke durch die Deutsch Bahn AG und die Schaffung von Betriebshöfen sind das nur die Dienststellen, in denen die Betriebsbücher aufbewahrt werden. Dort ist man dafür verantwortlich, dass die Lokomotiven aus ihren meist deutschlandweiten Umläufen rechtzeitig wieder eingefangen werden, um planmäßige Schadgruppen termingerecht ausbessern zu lassen.
Den Begriff der Planlok mit Stammpersonal gibt es bei der modernen Traktion nicht mehr. Die hohe Verfügbarkeit dieser Triebfahrzeuge ermöglicht den Einsatz nahezu rund um die Uhr.
Am 23. Januar 2009 stehen die beiden Schwesterbaureihen im Bahnhof Bamberg unter der Pfisterbrücke direkt nebeneinander.
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